Das Pferd frisst keinen Gurkensalat
konnektor – Forum für Künste e. V., Hannover
24.03. – 02.04.2017
Press info
18 Künstler*innen, 7 Telefone. Die Klasse von Prof. Asta Gröting (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) hat eine Telefonzentrale eingerichtet und lädt zu einer auditiven Gruppenausstellung ein. Ein Produktionsraum im Spannungsfeld zwischen Callcenter, Sprache als Kunst, der Selbstvergewisserung des Subjekts und Nostalgie des prädigitaliserten Privatlebens. 18 Künstler*innen rücken mit einer Telefonnummer raus und geben dem Besucher die Möglichkeit in verschiedenen Konstellationen mit dem jeweiligen Künstler in Kontakt zu treten, Zeuge zu werden oder sich genötigt zu fühlen.With contributions by
Sophia Baader, Thomas Depner, Alina Erdmann, Benedikt Flückiger, Lena Maria Hoppenkamps, Maximilian Jeromin, Gregor Kieseritzky, Swetlana König, Esra von Kornatzki, Paula Löffler, Jonas Meyburg, Johannes Moeller, Lucila Pacheco, Johanna Scharnberg-Spieker, Stefan Schramm, thurid, Jakob Wächtersbach, Simiao YuThanks to the sponsors
Sparkasse Hannover, Stiftung Edelhof Ricklingen, Stiftung Horizonte, Karin André Stiftung, HBK BraunschweigKindly supported by
sipgate GmbH"Das Pferd frisst keinen Gurkensalat" war laut unterschiedlicher Quellen einer der ersten Sätze, der am 26. Oktober 1861 in ein von Johann Phillip Reis entwickeltes Telefon gesprochen wurde. Er war ein Test und zeigt gleichzeitig auf, an welchen Grenzen des Komisch-Absurden sich Kommunikation bewegen kann. Ausgehend von der Idee der Kommunikation als Interaktion zwischen zwei Individuen, die erlebbar werden soll, entsteht ein Produktionsraum im Spannungsfeld zwischen Call-Center, Sprache als Kunst, der Selbstvergewisserung des Subjekts und Nostalgie des prädigitalisierten Privatlebens.
"Art by Telephone" (1969) war eine äußerst einflussreiche Ausstellung des MCA in Chicago. In einer Zeit, in der sich die Kunstwelt vom Minimalismus in konzeptueller Richtung entfernte, bat der Kurator David H. Katzive Künstler aus den USA und Europa ihre Ideen für Kunstwerke per Telefon zu übermitteln. Mitarbeiter des Museums führten dann die Arbeiten auf der Grundlage der mündlichen Anweisungen der Künstler aus, wobei sie jegliche Art von Blaupausen und schriftlichen Plänen vermieden. Nach sechs Wochen wurden alle Werke, die in "Art by Telephone" ausgestellt wurden, durch das Museum entsorgt. Die Ausstellung umfasste Installationen, die stark auf der Teilnahme des Publikums basierten, wie Armans berühmte Mülleimer. Der Künstler bat die Besucher, ihren Abfall in einen Plexiglas-Container zu werfen. Sobald er bis zum Rand gefüllt war, wurde die Arbeit als vervollständigt angesehen.
Die Ausstellung war Marcel Duchamp und John Cage als Pionieren der konzeptuellen Kunst gewidmet, obwohl sie selbst an der Ausstellung nicht teilnehmen wollten. Allerdings wurden die meisten – wenn nicht alle – Künstler, die die Einladung des Museums akzeptierten, von einem oder beiden in irgendeiner Weise beeinflusst. Die größte Gemeinsamkeit ist sicher, dass die Idee des Prozesses und die Erfahrung des Besuchers zentraler für die Kunst sind als das fertige Objekt.
Sprache diente seit jener Zeit als künstlerisches Medium und ist bis heute für Künstler*innen wie Lawrence Weiner, Robert Barry oder Ian Wilson zentrales Mittel der Arbeit. Letzterer realisierte 1968 seine letzte physische Arbeit. Seitdem bestehen Wilsons Arbeiten ausschließlich aus Gesprächen mit Publikum, die nicht aufgezeichnet werden dürfen, wodurch die Arbeit nur für den Moment in einem festen Kreis von Leuten besteht und außerhalb dieses Kontextes nicht reproduzierbar ist.
Ähnlich verhält es sich auch mit dem Erlebnis des Telefonierens und natürlich auch mit den oralen Gesprächen zwischen zwei Menschen. Das Telefonieren hat sich zwar durch die Mobiltelefone, mit denen zu jeder Zeit an jedem Ort gesprochen werden konnte, stark verändert, aber stellt immer noch einen intimen Moment dar, in dem physische Distanz überbrückt wird. Das Bild einer Fernbeziehung im 21. Jahrhundert drängt sich gerade zu auf.
In einem neutralen Raum mit einheitlichen Telefonen soll dem Besucher das Gefühl von Anonymität ver- mittelt werden. Die Telefone, die für die Installation verwendet wurden, sind Wandapparate der Deutschen Bundespost, diese gab es nur in Amtsstuben und wurden auch nicht frei verkauft, sondern nur vermietet. Das Modell heißt 01 LX W und ist sandfarben. Im Schaufenster liegen Abreißblöcke mit Telefonnummern von 18 Künstler*innen, die dem Besucher über die Telefone die Möglichkeit geben, in verschiedenen Konstellationen mit dem jeweiligen Künstler in Kontakt zu treten und darüber Zeuge oder Teilnehmer einer Arbeit zu werden.
Die Ausstellung bietet jedem der Künstler*innen aus der Klasse Asta Gröting die Möglichkeit in einem relativ stark limitierten Raum eine autonome Arbeit zu entwickeln, die dann durch die Installation der Telefone eingefasst wird. Eine thematische Gruppenausstellung aus dem Vorhaben einer Klassenausstellung zu entwickeln, ist oft mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da das künstlerische Schaffen innerhalb einer Klasser oft sehr divers ist und nur wenig Berührungspunkte zwischen den einzelnen Arbeitsansätzen bestehen. Anstatt einen kleinesten gemeinsamen Nenner zu suchen, haben sich die Mitglieder der Klasse dazu entschlossen, die Ausstellung für eine partizipative Versuchsanordnung zu nutzen und umgehen so elegant möglicherweise aufkommende Debatten um einzelne Wände und die maximale Anzahl der Arbeiten, die jeder einzelne zeigen kann.
Die Ausstellung als Format ist ein Experiment. Sie legt den Fokus – ähnlich wie "Art by Telephone" – auf die sprachliche Erzählung und geht dann nicht den Schritt zurück zum Objekt bzw. Exponat. Sich der Dokumentierbarkeit im engeren Sinne zu entziehen, die Konturen der Autorschaft verschwimmen zu lassen und die allzu leichte Erstarrung zum haptischen Werk zu vermeiden sind alles Strategien, die von einem neuen künstlerischem Schaffen jenseits der gängigen Produktionslogiken zeugt. Diese Verweigerung zielt auch auf die Entwicklung seit der Einführung des Smartphones ab, die dazu geführt hat, dass wir alle seit einigen Jahren Kunst vor allem über das Internet entdecken und sich der individuelle Austausch über Kunst ins Netz verlagert hat.